DER GOTT DES GEMETZELS: Eine weitere Premiere auf der Tucholskybühne in Minden

KULTUR: Es ist ein Kammerspiel der besonderen Art, das unter der Regie des jungen Theatermachers Simon Niemann am 19. Januar 2019 auf der Bühne des TaC – Theater am Campus Minden Premiere feiert

Eigens inszeniert und interpretiert. Nach dem großen Vorbild der französischen Schriftstellerin und Autorin Yasmina Reza mit dem Originaltitel „Le Dieu du carnage“, dessen Uraufführung am 2. Dezember 2006 im Schauspielhaus Zürich stattfand. Im Jahr 2011 wurde dann der Film dieser Theatheraufführung unter der Regie von Roman Polanski gezeigt. Mit Kate Winslet, Jodie Foster, Christoph Waltz und Jon C. Reilly. Ort der Handlung hier war seinerzeit New York.
Simon Niemann lehnte seine Interpretation wieder an das Original an, wo die Szenerie wieder in Paris spielt. Für den Kulturwissenschaftler und Theaterpädagogen der Städtischen Bühnen Osnabrück eine Herausforderung. Denn einerseits wieder den Bogen zu spannen nach dem erfolgreichen Film mit Starbesetzung und dann gleichzeitig eine eigene Interpretation für seine Aufführung zu entwickeln war keine einfache Aufgabe.

So geht es zu in einem gepflegten Gespräch

Anfänglich geben sich die vier Protagonisten brav und zurückhaltend auf der Bühne im TaC. Dann allerdings geht es mit kleinen, am Anfang sparsamen, aber gezielten Sticheleien in eine Richtung mit immer mehr ansteigender Aggressivität und Bosheit. Die Eheleute Houillé und Reille treffen sich zwecks eines Schlichtungsgespräches im Wohnzimmer der Houillés. Um dann zivilisiert wie es moderne Menschen von heute nun tun über das Ungemach von Ferdinand Reille zu sprechen. Dieser hat mit einem Stock Bruno Houillés zwei Schneidezähne ausgeschlagen. Was natürlich für die Eltern von Bruno, Véronique (Antje Baumgard) und Michel (Rainer Nentwig) eine größere Tragödie ist. Recht so. Geht es doch um den eigenen Sohn. Dem eigen Fleisch und Blut. Und hier muss man einfach Flagge zeigen. Nun ist auch noch die Mutter, Véronique Houillé eine Schriftstellerin mit sozialkritschem Anspruch. Eine, die den Moralanspruch ganz weit nach oben hält. Gerade schreibt sie an einem Buch über den Dafur-Konflikt, einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der sudanesischen Regierung und verschiedenen Volksgruppen in Dafur. Ganz anders dagegen ihr Gatte Michel (Rainer Nentwig). Seines Zeichens Eisenwarengroßhändler und gleichermaßen Pragmatiker. Einer, der den Hamster der geliebten Tochter einfach mal so in den Straßen von Paris entsorgt hat. Besser gesagt, um es nicht ganz so hart zu formulieren: Ausgesetzt! Trotzdem ein barbarischer Akt. Ist dieses Tier nun dem Tod geweiht. Von einem ganz anderen Kaliber sind die Eltern des Attentäters Ferdinand. Der Vater, Alain Reille (Marcel Müther), ist ein strebsamer Rechtsanwalt. Die Mutter Annette Reille (Iona Abbott), eine Anlagenberaterin mit dem latenten Gesichtsausdruck einer nicht immer ehrlich gemeinten Freundlichkeit. Wie schon oben erwähnt: Man gibt sich zu Beginn des Klärungsgespräches freundlich. Verständnisvoll. Quasi schon fast freundschaftlich. Wäre da nicht immer eine lauernde gegenseitige Anspannung zu spüren, die ganz schnell nun das Fass zum Überlaufen bringen könnte. Andauernd geht das Handy von Anwalt Alain Reille. Auch hier im Publikum der Tucholskybühne geht das dauernde Handyklingeln durch und durch. Familie Reille gibt sich anfangs noch schuldbewusst. Bis dann die verabscheuungswürdige Handlung des Michel Houillé herauskommt. Nun versuchen die Reilles von der Schandtat des Sohnemannes abzulenken und bekommen Oberwasser. Möglicherweise beginnt ab diesem Zeitpunkt die Eskalation. Auch noch dadurch angepuscht, dass Anwalt Reille einen Pharmakonzern vertritt, in dem ein Medikament mit schwerwiegenden Nebenwirkungen heruntergespielt werden soll. Ausgerechnet dieses Medikament nimmt die Mutter von Michel Houillé und Alain Reille versucht bei den immer häufiger werdenden Telefonaten dieses Thema zu vertuschen. Die Frau von Alain ist mittlerweile auch abgenervt durch die Vieltelefoniererei und dann kommt auch noch Alkohol ins Spiel. Als guter Gastgeber trotz des schärfer gewordenen Tons serviert Michel Houillé neben einem Clafoutis, einer durch seine Frau gereichte Süssspeise, einen ausgezeichneten Rum.

Die Debatte wird immer hitziger

Durch diesen Alkohol und die erhitzte Debatte übergibt sich plötzlich Annette Reille auf einen alten Bildband von Oskar Kokoschka. Plötzlich ist der schon erwartete Streit da und aus einem Akt der Verzweiflung wirft Annette Reille das Handy ihres Mannes in die Blumenvase, wo die Tulpen stehen.

Es wird immer heftiger und der Alkohol tut sein Übriges

Diese fliegen dann durch die Luft und irgendwie findet plötzlich eine Art Solidarisierung statt. Die Mutter Annette steht neben der Mutter Véronique und Anwalt Reille trinkt mit Michel Houillé den guten Rum und man ist sich zumindest für wenige Momente eins. Zwischen kleineren vorhergehenden Rangeleien mal abgesehen ist diese paarweise solidarische Haltung zwischen Feind und Freund ganz exemplarisch für dieses Kammerspiel zu sehen. Alain Reille fühlt sich in seiner Anschauung der Dinge bestätigt: Er habe immer an den Gott des Gemetzels geglaubt.

Man solidarisiert sich

Es ist eine gelungene Premiere im TaC – Theater am Campus an diesem 9. Januar 2018. Für Simon Niemann auch etwas ganz Besonderes. Denn er konnte hier als erster externer Regisseur Regie führen. Mit großem Erfolg. Ihm ist es gelungen, ein komplexes geschriebenes Stück Kammerspiel mit einer eigenen Identität zu interpretieren.

Ich werde mich in Kürze mit Simon Niemann über die Produktion unterhalten und bin schon ganz gespannt darauf. Und dann darüber berichten.

www.tucholsky-buehne.de

Autor/Fotos: Michael Hiller vdm

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