WOHNEN/DESIGN: Als Designer frage ich mich immer, was wohl die Reduzierung bei der Gestaltung von Wohnräumen bedeutet. Ein Verzicht auf Komfort? Oder nur ein Verzicht auf unnötige Dekoration von Elementen, die man nicht vermissen würde, wären sie plötzlich verschwunden. Oder ist es eine neue Art von Sinnlichkeit?
Für immer mehr Menschen wird das Einrichten von einer reinen Lust an der Sinnlichkeit zu einer Frage der Sinnhaftigkeit. Es geht um mehr als Minimalismus oder einen bestimmten Stil: Es geht um Klarheit, Ordnung, Einfachheit. Dass diese neue Art des fast schon spartanisch wirkenden Interior Designs nichts mit Lustfeindlichkeit, sondern im Gegenteil gerade etwas mit Lust am – sparsamen – Dekorieren und einer neuen Art von Genuss zu tun hat, zeigt auch das idealtypisch gewählte Motiv der imm cologne-Kampagne „Köln möbliert“, das in einer privaten Kölner Altbauwohnung inszeniert wurde.
Sehnsucht nach Einfachheit
Zwei Stühle, ein Kaffee-Tisch, eine Vase mit leuchtend roten Beeren-Zweigen. Alles vom Feinsten. Mehr braucht es nicht, denn man ist ja schließlich nur zu zweit. Aber eben nicht irgendwelche Stühle, Tische und Blumen. Wenn man auf weniges beschränkt, soll es auch genau das sein, was man sich wünscht. Dazu können sich dann persönliche Erinnerungsstücke, Vintage oder DIY gesellen. Nach diesem Prinzip richten sich nicht nur Trendsetter ein, sondern auch immer mehr Fans schlichter Gestaltung, die nach Blog-Anleitung ihre Wohnung ausmisten und lieber in dezenten Farbharmonien als im trendgetriebenen Konsumrausch schwelgen.
Die optimale Balance für das perfekte Zuhause
Vergleichbar mit dem Leitspruch „Ein gesunder Geist lebt in einem gesunden Körper“ versuchen sie, ihr Leben ruhiger und einfacher zu gestalten, indem sie praktisch und ästhetisch Ordnung halten. Nicht zu viel und nicht zu wenig darf es sein, um die perfekte Balance zu finden – eine Aufgabe, die niemals beendet ist, obwohl das Ziel nichts weniger ist als das perfekte Heim. Ständig wird optimiert. Aber nicht, indem Neues hinzugefügt, sondern möglichst nur Altes ausgetauscht wird. Glücklich, wer da einen großen Keller, eine Abstellkammer oder wenigstens ein großes Schlafzimmer hat, um bei Bedarf weitere Stühle hervorzukramen, auf denen Gäste um den großen Esstisch Platz nehmen können.
Wenn die Form zum Inhalt wird
Wer nichts Überflüssiges anschaffen will, achtet darauf, das Richtige zu kaufen. Eine hochwertige Ausstattung gewährleistet die notwendige Designqualität. Neben Einbaumöbeln, die für den hinter Türen verschwindendem Stauraum gern genommen werden, sind es vor allem die Solitärmöbel, die als Hingucker die eigentlichen Stars des perfekten Heims spielen.
Das perfekte Heim ist aufgeräumt, aber nicht clean. Gemütlichkeit wird durch persönliche Dinge, authentische Materialien und sparsame Dekoration in die Wohnung geholt. Als Akzentgeber ist Deko erlaubt, Staubfänger hingegen sind unbeliebt, genauso wie Zeitschriften, die farblich nicht zum Gesamtkonzept passen. Da werden schon mal Buchrücken im Regal umgedreht oder Deko (genau wie die Magazine) nur wegen ihrer Farbe gekauft.
Schlicht, aber nicht ungemütlich soll das perfekte Heim sein. Moderne Möbel mit skandinavischem Touch scheinen dafür wie gemacht. Nicht zu laut, sondern zurückhaltend, Traditionelles frisch interpretiert, mehrheitlich kleine und praktische Möbel mit Charme in angenehmer Farbgebung – der „Scandic Chic“ hat das Ikea-Image schon längst hinter sich gelassen und erobert nicht nur kleine Stadtwohnungen, sondern auch große Villen.
Reizarme & reizvolle Räume zum Abschalten
In den letzten Jahren waren es vor allem die skandinavischen Aussteller auf der imm cologne, die einen ganz eigenen, neuen Stil vorlebten und entsprechende Produkte anboten. Gerade die jungen Trendmarken aus dem Norden sorgten für neuen Schwung und konnten sich innerhalb kürzester Zeit als Kultmarken etablieren. Allen voran die Marken Muuto, &Tradition, Frost, Softline oder Woud aus Dänemark. Aus Schweden bringen Design House Stockholm und String nordische Schlichtheit ins Heim und aus Finnland steuern Artek Möbelklassiker und Woodnotes Textilien bei. Traditionelles wird neu und frech interpretiert, zu den ehemals so typischen bunten Dessins aus Primärfarben gesellen sich edle Grautöne und gedeckte Pastellfarben, und schon ist die lässige Mischung aus urbanem und rustikalem, schickem und minimalistisch schlichtem Design fertig.
Das Rezept beherrschen aber natürlich auch Marken aus weniger nördlichen Regionen. Gerade aus Benelux und Deutschland, aber auch aus Frankreich und Spanien kommen viele Designentwicklungen, die sich dem neuen Bedürfnis nach schlichter, aber hochkarätiger Einrichtung verschreiben. Scandic Chick ist schon lange kein skandinavisches Phänomen mehr. Auf der imm cologne zeigen auch Traditionsunternehmen wie Ligne Roset aus Frankreich oder Marken wie freistil Kollektionen und Einzelprodukte, die sich gut mit dem skandinavischen Lifestyle verknüpfen lassen. Diese Tendenz ist beim Design von Wohnaccessoires und Leuchten schon seit einigen Jahren festzustellen. Viele Menschen sind auf der Suche nach reizarmen Räumen, um das moderne, informationsgeladene Leben zu bewältigen. Und für viele Menschen ist ihr Zuhause dieser Raum. Ein ästhetisch ausgewogenes, geordnetes Umfeld, das nicht ständig danach schreit, aufgeräumt, geputzt oder abgearbeitet zu werden, hilft dabei.
Autor Michael Hiller / Kölnmesse
vdm