Architektur des Kreises Eine runde Sache?

Wir wohnen in rechteckigen Häusern. Und auch unsere Möbel sind – mehr oder weniger – eckig. Denn so passen sie sich dem Wohnraum gut an und nutzen den zur Verfügung stehenden Platz optimal aus. Welche Idee steckt also dahinter, wenn auf der internationalen Einrichtungsmesse imm cologne ein rundes Haus als Wohnvision präsentiert wird?
Rundes Wohnen ist uns fremd, ja, die Vorstellung eines runden Hauses klingt in unseren Ohren schon fast absurd. Wie soll das funktionieren? Doch was uns fremd ist, ist in anderen Kulturen fest verankert. Eine runde Bauweise muss also auch Vorteile bieten. Aber entspricht das überhaupt unserem Sinn für Effizienz? Können und wollen wir rundes Bauen weiterhin aus unserer Architektur verbannen, oder lohnt es sich, von ihr zu lernen?
Die runde Form des Bauens wurde schon durch ganze Epochen getragen. Wirft man beispielsweise einen Blick auf die chinesische Kultur, wird schnell deutlich, dass diese Form hier bereits seit mehreren tausend Jahren verwendet wird. Zum Beispiel die Tulou – traditionelle kreisrunde chinesische Häuser, die von der Hakka-Volksgruppe in Südostchina bereits seit dem 12. Jahrhundert gebaut werden und seit 2008 zum UNESCO Welterbe gehören. Die um einen runden Innenhof gebauten Wohnanlagen sind aus hohen Lehmmauern gebaut und können in bis zu fünf Stockwerken fast 800 Menschen beherbergen. Die Kreisform hat sich in vielen Kulturen bis heute gehalten. So wohnen Nomaden in der Mongolei immer noch in ihren runden Jurten, Inuit leben in runden Iglus aus Schnee, und die Seefahrer wurden seit alters her von dem Licht runder Leuchttürme in die richtige Richtung gelenkt. Das Kolosseum, Wahrzeichen Roms und das größte Amphitheater der Welt: rund. Zunehmend werden auch Fußballstadien – beispielsweise das „Volcano Stadium“ in Mexiko von Jean-Marie Massaud – in annähernd kreisrunder Form um das Rasenrechteck hochgezogen. Aber warum rund? Was hat die kreisförmige Grundform für eine Bedeutung?

Ein Kreis ist nicht nur rund, er steht für Einheit, für das Absolute und auch für eine ideale Ordnung. Eine Eigenschaft des Kreises ist, dass jeder Punkt gleich weit vom Mittelpunkt entfernt ist, es gibt kein Voreinander und kein Hintereinander, keinen Anfang und kein Ende. Diese Eigenschaft lässt sich auch auf die Architektur übertragen: „Es gibt keine Grenze, keine Barriere, keine Ecke, an der man sich stoßen oder hinter der man sich verstecken könnte“, so Sebastian Herkner, diesjähriger Designer für „Das Haus“ auf der imm cologne 2016, über seinen Entwurf. Herkner wendet sich von der typischen eckigen Form eines Hauses ab und wird auf der Messe ein rundes Haus mit einem zentralen Innenhof präsentieren, der für das Ideal einer lebendigen Begegnungsstätte steht.
Die runde Bauform gliedert sich ein in die Bauweise organischer Architektur. Bauwerke dieser Architekturrichtung sind nicht nur Ausdruck von Gesellschaft und Kultur, sondern sollen umgekehrt auch Einfluss auf das äußere und innere Leben des Menschen nehmen. Ein Grundgedanke dieser Architektur ist es, bei der Planung von Häusern von innen nach außen zu bauen, d.h. im Zentrum des Entwurfs steht der Wohnraum. Das Bauwerk gliedert sich sozusagen in die natürliche Umwelt ein. Bekannte Bauwerke sind das Guggenheim Museum in New York und das Haus „Fallingwater“, von Frank Lloyd Wright (1867-1959). Aber auch in der heutigen Zeit gibt es Architekten wie etwa Zaha Hadid, die im Stil organischer Architektur Innovatives schaffen. Mit ihrem Guangzhou Opernhaus in China verbindet Hadid natürliche Landschaften wie Flusstäler und Wege mit Design. Und auch Frank Gehry ist mit seinen Disney-Konzerthallen in Los Angeles oder dem Guggenheim-Museum in Bilbao bekannt für diese Art von Architektur.
In diesen Bauwerken wird dem für uns noch Ungewöhnlichen schon Raum gegeben. Rund mag auch tatsächlich absurd und ungewöhnlich sein, aber muss es zwangsläufig auch ineffizient bedeuten? Warum sollte sich das Besondere nicht mit dem Effizienten kombinieren lassen?
Bei einem runden Haus obliegt es dem Architekten, die Ausrichtung zu definieren. Keine festen Wände bedeutet beispielsweise mehr Raum für Flexibilität, einfache Anpassung und Umgestaltung. Doch nicht nur der Innenraum bietet neue Möglichkeiten, wenn er rund gedacht wird – auch die besondere Standfestigkeit der Häuser, die Wind und Regen abweisende runde Form, die bessere Isolation gegen Kälte und Hitze machen eine runde Bauweise besonders sinnvoll. Bei gleicher Grundfläche ergibt sich beim runden gegenüber dem rechteckigen Haus ein geringerer Materialverbrauch, denn mathematisch gesehen haben runde Körper das günstigste Verhältnis zwischen Grund- und Mantelfläche.
Hinzu kommt: Bei einem runden Haus sind sowohl der Energieverlust als auch der Materialeinsatz um 13% geringer als bei den besten viereckigen Häusern. Wenn es kälter wird, nützt nicht nur die bessere Isolation, sondern auch die Sonneneinstrahlung: Im Winter steht die Sonne tiefer, scheint ins Gebäude und wärmt den Innenraum auf. Im Sommer hingegen steht sie wieder höher und scheint kaum ins Gebäude, so ist die Aufheizung geringer. Durch das große flache Dach besteht zudem die Möglichkeit, Solarpanels zu installieren und die Sonnenenergie effizient zu nutzen.
Wer Fortschritt will, muss auch mal um die Ecke denken. Warum also nicht mal rund bauen? Moderne Architektur bietet heute zum Beispiel Möglichkeiten, Gebäudekern und Fassade unabhängig voneinander zu formen. Große Gebäudekomplexe wie etwa die Cologne Oval Offices (Sauerbruch Hutton) zeigen, dass eine organische Linienführung der Architektur einen ganz besonderen Charakter zu geben vermag. Runde Architektur bietet sich überall da an, wo Raum-Effizienz nicht im Vordergrund steht, sondern der Erlebnischarakter betont werden soll – etwa bei Hotels, Event-Architektur wie etwa Museen oder Theaterbauten, oder auch bei repräsentativen Bauten.
Und im privaten Wohnungsbau? Hier geht es manchmal noch mehr um Effizienz als im öffentlichen Bereich. Einrichten von runden Innenräumen erscheint uns aufgrund eckiger Möbel als schwierig. In Sebastian Herkners „Das Haus“ werden die Möbel frei im Raum platziert. Doch „hier geht es nicht um Effizienz, sondern ganz abstrakt um Möglichkeiten des Wohnens“, gibt Herkner zu. Er möchte mit seiner Interpretation des Event-Formats vor dem Hintergrund der Flüchtlingsproblematik ein Zeichen setzen – ein Zeichen gegen gesellschaftliche Abschottung: „Die Transparenz von ‚Das Haus‘ ist ein Ausdruck für die Notwendigkeit, sich Veränderungen mit mehr Offenheit zu stellen“, so Herkner über die runde, von allen Seiten zugängliche und einsehbare Haus-Form. Offen sein für Veränderungen. Warum nicht also ein rundes Haus? Dem (scheinbar) Absurden Raum geben.

imm Köln

vdm Michael Hiller

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